Führungsverantwortung in China (Teil 4/5)
Als Führungskraft in China – sicher und sattelfest in der eigenen Position
Von Martin Brandstötter
19. Juli – Ich war überwältigt. Obwohl ich wusste, dass mich hohe Häuser, Menschenmassen und eine neue Kultur erwarten. Obwohl ich wusste, wo mich der Firmen-Chauffeur hinbringt. Obwohl ich wusste, dass alles gut organisiert ist.
Als ich abends am 01. August 2000 in Shanghai landete konnte ich bereits einigermaßen Chinesisch. Ich war erstmals in China. Als Sinologie-Student trat ich ein Praktikum bei einer österreichischen Industrie-Niederlassung an und war überwältigt von einem Land, auf das ich mich eigentlich gut vorbereitet hatte.
Seither hat sich bei mir viel weiterentwickelt. Meine Sprachkenntnisse habe ich erweitert und gemeinsam mit chinesischen Freunden, Lehrern, Studien- und Arbeitskollegen habe ich mein Verständnis für China und seine Menschen vertieft. Vor allem habe ich in dieser Zeit gelernt, dass es für westliche Führungskräfte besondere Herausforderungen gibt, wenn sie in China Menschen führen.
Zum Beispiel die eigene Position, die wohl jeder für sich finden muss, wenn er längere Zeit in einer fremden Kultur leben will. Die Entfernung von der Firmenzentrale und vor allem vom privaten Umfeld zu Hause wird oft unterschätzt, denn diese soziale Einbettung geht ein Stück weit verloren. Es sind außerdem grundlegende Entscheidungen zu treffen, die meist nicht bewusst gefällt werden: wie verbringe ich meine Freizeit – mit anderen Expats, mit Chinesen? Wie weit bin ich bereit die Sprache zu lernen, mich auf die chinesische Kultur einzulassen?
Gleichzeitig ist gerade diese schwierige Anfangsphase entscheidend, um im Unternehmen als fundierte Führungskraft solide aufzutreten und Fuß zu fassen. Wie verhalte ich mich gegenüber meinen deutschen beziehungsweise österreichischen Kollegen? Was muss ich inhaltlich, organisatorisch von ihnen/von meinem Chef wissen, um gut zu arbeiten? Wie arbeite ich am Besten mit meinen chinesischen Kollegen zusammen – und vor allem: wie trete ich Chinesen gegenüber als Führungskraft auf?
Als meine Sprachkenntnisse noch nicht reichten um meine chinesischen Mitarbeiter zu verstehen, bin ich selbst wiederholt über einen Fallstrick gestolpert: aus meinem sprachlichen Unverständnis entwickelte ich Misstrauen. Aus Unkenntnis kultureller und sozialer Gewohnheiten in China fühlte ich mich ausgegrenzt.
Deutsche Ingeneure berichten mir manchmal, wie wichtig in ihrem Bereich die detailgenaue Planung ist. Wer in einem Bereich mit hoher technischer Verantwortung tätig ist, in dem nichts dem Zufall überlassen werden kann, weiß worum es geht. Diese Ingeneure erzählen wie schwer ihnen fällt, wenn Chinesen scheinbar ohne Plan arbeiten.
Als ich in diesem Zusammenhang einen deutschen Repat nach drei Jahren China-Aufenthalt fragte, was er denn aus seiner Zeit in der Volksrepublik Nützliches mit nach Hause nimmt, war die Antwort doch ein wenig überraschend: „Ich habe selbst gelernt, zu improvisieren: Als mein Plan einmal nicht mehr aufging, wusste ich anfangs nicht weiter. In China habe ich erkannt, wie man in solchen Situationen auch andere Wege findet.“
Selbst wenn diese Aussage scheint wie aus dem Bilderbuch, sie unterstreicht in Wirklichkeit die Grundidee jedes Joint-Ventures (JV): es ist die Zusammenarbeit, die Kombination unterschiedlicher Landes- und Organisationskulturen, die den wahren Mehrwert bringt!
China ist ein überwältigendes Land, das in vielerlei Hinsicht große Herausforderungen bereithält – gerade für ausländische Unternehmen und ihre Führungskräfte. Es ist nicht leicht, täglich aufs Neue mit voller Motivation, Offenheit und Verständnis ans Tagwerk zu gehen. Es ist durchaus schwierig, sich als ausländische Führungskraft in der chinesischen Wirtschaftswelt richtig zu bewegen.
Und gerade deshalb betrachte ich als entscheidend, dass Sie sicher und sattelfest sind: nicht nur in Ihrer eigenen Fachmaterie, sondern im Bewusstsein um Ihre eigene Position als Führungskraft in China. Wer diese Sicherheit hat, wird für die eigenen Mitarbeiter ein motivierender und verlässlicher Vorgesetzter sein. Wer darüber hinaus die Vorteile nutzt, die die Kooperation zwischen Chinesen und Europäern in sich trägt, wird sein Headquarter erfreuen und gute Ergebnisse erzielen.
Der Autor Martin Brandstötter begleitet mit der Unternehmensberatung Zielwerk Organisationsentwicklungs- und Changeprozesse und berät Führungskräfte. Der akademische Coach arbeitet auf Deutsch, Chinesisch und Englisch.
Hier können Sie den 1. Teil, 2. Teil, 3. Teil und 5. Teil dieser fünfteiligen Serie lesen.
Bei Fragen zu Wirtschaftsthemen, Steuern, Buchhaltung und Unternehmensgründungen in China kontaktieren Sie bitte Herrn Richard Hoffmann (Richard.Hoffmann@dezshira.com), Herrn Olaf Griese (Olaf.Griese@dezshira.com), oder Herrn Fabian Knopf (Fabian.Knopf@dezshira.com) von dem Beratungsunternehmen Dezan Shira & Associates.
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