Eineinhalb Jahre nach der Airpocalypse in China

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Wie ist der Stand der Dinge in Chinas “Krieg gegen die Verschmutzung”?

Die Artikel stammt von econet monitor via China Observer

Im Januar 2013 versanken die großen Städte in der Region um Beijing, Tianjin und Hebei in dichtem Smog, der über mehrere Tage anhielt und die Sichtweite auf den Straßen auf wenige Meter begrenzte. Laut Messungen der U.S.-Botschaft in Beijing erreichte die Feinstaubkonzentration (PM2.5) den historischen Rekordwert von 886μg/m³.

Der Durchschnittswert zwischen dem 10. und 14. Januar betrug 377μg/m³ – der empfohlene Jahresmittelwert der WHO liegt bei 10μg/m³. Dieses Ereignis erregte weltweite Aufmerksamkeit. Internationale Medien sprachen wahlweise von Chinas “Airpocalypse” oder “Airmageddon”. Chinesische Medien und Öffentlichkeit reagierten alarmiert: Während Beijings Nutzer von Weibo (das chinesische Äquivalent zum Kurznachrichtendienst Twitter) in den Jahren 2009 bis 2012 noch kaum über Luftverschmutzung sprachen, erreichte die Diskussion Anfang 2013 einen Höhepunkt: Die Anzahl der Einträge mit dem Wort “Luftverschmutzung” (”空气污染”) stieg von durchschnittlich ca. 400 pro Tag im Jahr 2012 auf fast 60.000 während der Smogtage. Die Berichterstattung durch die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zeigt eine ähnliche Kehrtwende. Während das Problem bis Ende 2012 nur am Rande behandelt wurde, stieg die Anzahl der Xinhua Online-Artikel mit dem Wort “Luftverschmutzung” im Titel von unter 300 im Jahr 2012 auf über 2300 in 2013. Luftverschmutzung ist als Thema in der Öffentlichkeit angekommen.

Ein Grund für das wachsende Interesse ist der wesentlich erleichterte Zugang zu Feinstaubdaten seit Ende 2012. Über längere Zeit waren die Messungen der U.S.-Botschaft der einzige Indikator für PM2.5 in Beijing (das Umweltministerium hat ebenfalls einen Air Pollution Index veröffentlicht, in dem dieser Wert allerdings nicht vorkam). Inzwischen können stündliche PM2.5-Daten von 179 Städten online abgerufen werden – nirgendwo sonst auf der Welt sind Feinstaubdaten in diesem Umfang verfügbar. Ca. 800 Mio. Chinesen, die in diesen Städten oder deren direkter Umgebung leben, profitieren von dieser neuen Transparenz und können ihre alltäglichen Aktivitäten an den Grad der Luftverschmutzung besser anpassen – und Druck ausüben.

Starke Reaktion der Zentralregierung

Die “Airpocalypse” vom Januar 2013 hat die kurz zuvor festgelegten Zielsetzungen des 12. Fünf-Jahres-Plans (2010 bis 2015) überrollt: Dieser legte PM2.5-Reduzierungen für mehrere küstennahe Regionen fest, die zwischen 5% und 7% lagen. Nur für Beijing wurde mit 15% bereits ein strikteres Ziel festgelegt. Als Reaktion auf die Luftverschmutzung und dem damit verbundenen öffentlichen Aufschrei hat die Zentralregierung schließlich im September 2013 wesentlich ehrgeizigere Ziele vorgegeben: Feinstaub in den Regionen Beijing, Tianjin, Hebei, dem Yangtze-Delta und dem Perlfluss-Delta soll nun zwischen 2012 und 2017 um jeweils 25%, 20% und 15% gesenkt werden. Für die Erreichung dieser Ziele sind laut National Development and Reform Commission (NDRC) Investitionen in Höhe von 1,7 Bil. Yuan vorgesehen. Neben ehrgeizigeren Zielen wurde die Umsetzung bereits beschlossener, aber bislang aufgeschobener Maßnahmen in Gang gesetzt: Der Staatsrat hat im Februar 2013 die Reduzierung des Schadstoffausstoßes für Fahrzeuge angeordnet. Es folgte (zwei Jahre später als ursprünglich geplant) eine Roadmap zur landesweiten Umsetzung der sogenannten China V Emissionsstandards, die den Schwefelausstoß von Diesel und Benzin drastisch reduzieren soll.

Direkt nach einer weiteren Phase starker Verschmutzung im Februar 2014, mit durchschnittlichen Feinstaubwerten von über 400μg/m³ pro Tag, rief Ministerpräsident Li Keqiang im März diesen Jahres öffentlichkeitswirksam vor dem Nationalen Volkskongress den “Krieg gegen die Verschmutzung” aus und betonte, dass der Fokus auf der Bekämpfung von Feinstaub liegen werde. Im April wurde daraufhin das Umweltschutzgesetz – unverändert seit 1989 in Kraft – erstmals aktualisiert. In der neuen Fassung (in Kraft ab 1. Januar 2015) werden kontinuierliche Strafzahlungen für Unternehmen, die Umweltschutzauflagen nicht einhalten, möglich sein. Industrieunternehmen werden zudem verpflichtet, ihre Emissionswerte zu veröffentlichen und lokal registrierten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wird das Recht eingeräumt, gegen Unternehmen, die gegen Umweltschutzrichtlinien verstoßen, gerichtlich zu klagen.

Experten aus dem China Greentech-Netzwerk bewerten die Gesetzesänderung als potentiellen Meilenstein für den Umweltschutz. Die Möglichkeit permanenter Strafzahlungen ist beispielsweise eine wichtige Korrektur der bisherigen Praxis. Viele kleinere und mittlere Industrieunternehmen zogen es bislang vor, eine einmalige Strafe für gesetzeswidrige Verschmutzung zu zahlen, da die Installation und der Betrieb von Filteranlagen ein Vielfaches des Bußgeldes kosten würden. Wenn das neue Umweltschutzgesetz konsequent umgesetzt wird, werden Unternehmen mit hohem Schadstoffausstoß in Zukunft wesentlich stärker über ihre Aktivitäten Rechenschaft ablegen müssen: Erhöhte Transparenz bei Emissionswerten, die Möglichkeit für NGOs Anklage zu erheben und striktere Strafen sind eine Kombination, welche die Nichteinhaltung von Regularien und die stillschweigende Duldung dessen erheblich erschweren. Die Öffentlichkeit hat mit diesem Gesetz eine (wenn auch indirekte) legale Möglichkeit, gegen unrechtmäßige Verschmutzung vorzugehen.

Lokalregierungen in der Pflicht, doch kurzfristiger Erfolg lässt auf sich warten

Die Lokalregierungen sind in Chinas Kampf gegen die Luftverschmutzung an vorderster Front. Sie müssen Strategien für die Umsetzung der nationalen Ziele entwickeln und werden Anhand ihres Erfolges von der jeweils höheren Ebene entweder belohnt oder abgestraft. Je nach Messung lässt sich etwa die Hälfte des Feinstaubes in der Region Beijing, Tianjin, Hebei auf Kohleverbrennung in der Industrie und Stromerzeugung sowie auf Fahrzeugabgase zurückführen. Hauptansatzpunkte zur Verbesserung der Luftqualität sind daher die energieintensiven Stahlund Zementindustrien sowie der Transportsektor.

Hebei steht dabei besonders im Fokus. Die Provinz produziert mit ca. 200 Mio. t jährlich etwa ein Viertel des chinesischen Stahls. Mehrere Tausend kleine und mittelgroße Stahlunternehmen siedelten sich in den vergangen Jahren in Hebei an und umgingen, teils unter Duldung lokaler Regierungen, Umweltschutzauflagen. Diese Stahlwerke gehören zu den wichtigsten Arbeitgebern, Steuerzahlern – und Verschmutzern – der Region, die nun ihre Wirtschatsstruktur unter Zeitdruck umbauen muss. Bis 2017 soll Hebei jeweils 60 Mio. t Stahlund 61 Mio. t an Zementproduktionskapazität stilllegen. Im Jahr 2013 wurden in diesem Zuge 8.300 kleinere Industriebetriebe geschlossen, die zuvor für einen besonders hohen Schadstoffausstoß verantwortlich waren. Hebei wird dabei mit den ökonomischen Konsequenzen des Kapazitätsabbaus und der Durchsetzung von Umweltstandards in der Schwerindustrie umgehen müssen. Unterschiedliche Analysen sagen aus, dass mit den geplanten Stillegungen allein im Stahlsektor ca. 100.000 bis 150.000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Das Wachstum im Industrisektor in Hebei verlangsamte sich im Jahr 2013 spürbar.

Landesweit wuchs jedoch die Produktion von Stahl und Zement trotz angestrebter Reduzierungen auch 2013 um 9% bzw. 11%. Die Überkapazitäten im Stahlsektor werden mit 300 Mio. t beziffert und befinden sich laut Li Xinchuang, dem Vizegeneralsekretär der Chinese Iron and Steel Association, “jenseits der Vorstellungskraft”. Während Hebei Kapazitäten reduzierte, wurde in anderen Teilen des Landes die Produktionskapazität für Stahl ausgebaut.

Ein besonderes Augenmerk liegt auch auf Beijing, dessen Ruf zunehmend unter der notorisch schlechten Luft leidet. Die Stadt greift schon seit längerer Zeit zu radikalen Maßnahmen: so wurde die jährliche Neuzulassung von PKWs seit 2011 auf 240.000 beschränkt. Laut politischer Zielsetzung muss Beijing den durchschnittlichen PM2.5-Wert bis 2017 auf 60μg/m³ beschränken. Das entspricht einer Reduzierung um ca. 33% im Vergleich zum Durchschnittswert von 2013, der vom Beijing Municipal Environmental Protection Bureau mit 89μg/m³ angegeben wurde. Die Stadt bekämpft den Smog an allen Fronten: Kohlekraftwerke werden durch Gaskraftwerke ersetzt, bestehende Kraftwerke müssen striktere Auflagen für den Stickstoffausstoß erfüllen und selbst die Nutzung von Feuerwerken zu Feiertagen sowie der beliebten Straßengrills wird teilweise eingeschränkt.

Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass Beijing sein angestrebtes Ziel von 60μg/m³ bis zum Jahr 2017 wirklich erreichen wird. Messungen der U.S.-Botschaft zeigen, dass durchschnittliche Feinstaubwerte über die letzten Jahre sehr konstant zwischen 90 und 100μg/m³ blieben und auch Werte für das Jahr 2014 zeigen bislang keine Verbesserung. Da je nach Wetterlage ein Viertel bis ein Drittel des Beijinger Smogs von Quellen außerhalb der Stadt stammt, hängt die Erreichung des ehrgeizigen Ziels stark von den Erfolgen der umgebenen Provinz Hebei ab. Weitere 17% des Beijinger Feinstaubes wurden im Jahr 2010 Fahrzeugabgasen zugeordnet. Dabei stammte der Großteil der Emissionen von dieselbetriebenen Lastwagen und Bussen, die in den meisten Fällen keine Emissionsstandards einhielten. Laut aktueller Roadmap soll der durch Dieselund Benzinverbrennung bedingte Schwefelausstoß bis 2017 landesweit auf 10ppm reduziert werden (gemäß China V Standard). Dafür muss höherwertiger Diesel produziert werden, was bislang anscheinend nur in kleinerem Umfang geschieht. Experten schätzen, dass der Großteil des produzierten Diesels nach wie vor einen Ausstoß von 300 800ppm verursacht und damit die Luft stark verschmutzt. Um landesweit China V Emissionsstandards zu erreichen scheint ein Zeitraum von 10 bis 15 Jahren realistischer. Alternative Antriebe sind eine Option, die China ebenfalls verfolgt, doch wird die Entwicklung in den nächsten Jahren zeigen müssen, inwieweit Elektromobilität oder erdgasbetriebene Fahrzeuge den bisherigen Fuhrpark ersetzen können.

Der Kampf gegen Umweltverschmutzung hat nun Priorität

Trotz bestehender Probleme legen die Aktivitäten der Zentralregierung seit 2013 nahe, dass nun bessere Luftund Umweltbedingungen (neben wirtschaftlicher Entwicklung) auf der Agenda für Chinas Entwicklung ganz oben stehen. Das neue Umweltschutzgesetz, detaillierte und ehrgeizigere Zielsetzungen zur Feinstaubreduzierung, die Einführung strikterer FahrzeugEmissionsstandards und die Rethorik der Zentralregierung sind Indikatoren dafür, dass der Kampf gegen Umweltverschmutzung nun auf höchster Ebene Priorität hat – und lokale Regierungen sich in ihrer Entwicklungsstrategie entsprechend anpassen müssen.

Die Handlungsgrundsätze haben sich derweil nicht geändert: Lokale Regierungen agieren anhand von Key Performance-Indikatoren (KPIs), die Entwicklungsziele für die jeweilige Region festlegen. Anhand dieser KPIs werden lokale Beamte von der nächsthöheren Ebene bewertet und ggf. befördert. Die wirtschaftliche Entwicklung wird auch in Zukunft bei den KPIs eine herausragende Rolle spielen. Auch mit stärkerer Förderung des Umweltschutzes bleibt der Grundsatz, dass Investitionen in Schadstoffverringerung in erster Linie aus wirtschaftlichen Motiven getätigt werden. Umweltschutz allein reicht als Argument für investitionen nicht aus und muss – wie in anderen Regionen auch – mit wirtschaftlichen Anreizen verbunden sein um größere Verbreitung zu finden.

Möglichkeiten für den Greentech-Sektor

Der Bedarf an Technologien und Know-how für ein “sauberes” China ist riesig und für internationale Unternehmen stellt sich die Frage, wie man sich positionieren kann um eigene Expertise und technische Lösungen an den Markt zu bringen. Das Bewusstsein für Ressourceneinsparungen und die Bereitschaft in diese zu investieren ist in China bislang wenig ausgeprägt. Dies gilt sowohl für den Industrieals auch für den Gebäudesektor. Laut Branchenexperten könnte man beispielsweise den Energieverbrauch von Bürogebäuden ohne jegliche Kosten um 10% bis 12% verringern – allein durch Optimierungen in Wartung und Betrieb. Auch besteht bislang geringe Bereitschaft, Aufpreise für effizientere Ausrüstung zu bezahlen. Allgemein müssen Rückzahlungszeiträume für Investitionen in Resourceneffizienz bei drei bis fünf Jahren liegen.

Das stellt Technologieunternehmen vor die Herausforderung kostengünstige, ganzheitliche Lösungen sowie umfassende begleitende Services anzubieten. Die Potentiale für internationale Unternehmen, an Chinas wachsendem Markt für Umwelttechnologien teilzunehmen, hängen vom Sektor und jeweiligen Projekt ab. Wichtig sind eine Ausrichtung des Angebotes entsprechend lokaler Entwicklungsziele und zuverlässige Kooperationspartner vor Ort.

Demonstrationsprojekte, die von Lokalregierungen oder großen Staatsunternehmen vorangetrieben werden und besonders hohe Qualtätsansprüche stellen bieten Möglichkeiten für deutsche Unternehmen. Dies gilt auch für Projekte von internationalen Unternehmen, die globale Nachhaltigkeitsziele verfolgen und ihre Marke damit assoziieren wollen. Mit der richtigen Strategie haben deutsche Unternehmen vielfältige Möglichkeiten, an Chinas wachsendem Greentech-Sektor teilzunehmen.
Ob die Regierung ihre Ziele für 2017 erreicht wird sich zeigen. Unabhängig davon ist der Kurs der Zentralregierung hin zu effektiverem Umweltschutz und Ressourceneffizienz eindeutig – mit erheblichen Implikationen für Wirtschaft und Gesellschaft des Landes in den nächsten Jahren.

Good to know

Chinas Ziel, das Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2014 um 7,5% zu steigern, muss mit einer gleichermaßen soliden Vision von sauberem Wachstum Hand in Hand gehen. Mit dieser Absicht misst die nationale Führung der nachhaltigen Entwicklung einen neuen Stellenwert bei.

Der 2014 Greentech Report informiert darüber, wie Unternehmen durch Partnerschaften auf vielfältige Weise profitieren, indem sie einen Beitrag zur Entwicklung und Umsetzung spezifischer Lösungen für Chinas Herausforderungen im Energieund Umweltsektor leisten: nachhaltige Gewinne, ein ausgedehntes Netzwerk gleichgesinnter Geschäftspartner und Anerkennung für ihre aktive Rolle in der Entwicklung eines smarteren, grüneren und produktiveren China.

Der 2014 China Greentech Report steht ab Ende des Sommers kostenlos zum Download auf der Website der China Greentech Initiative zur Verfügung.

PM2.5: Feinstaub (”Particulate Matter”) mit weniger als 2,5 Mikrometern Durchmesser. Partikel dieser Größe dringen in Lunge und Blutkreislauf ein und gelten als gesundheitsschädlich. PM2.5 gilt daher als ein wichtiger Indikator für die Luftqualität.

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Fabian Knopf, Sr. Associate, Co-Head of German Desk, Dezan Shira & Associates
Fabian.Knopf@dezshira.com

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