Die Messung psychologischer Konstrukte und die Anwendungsbereiche kostenintensiver Testverfahren im „Blue Collar“ und „White Collar“ Bereich
Von Ferenc Acs
18. August – Sie suchen einen guten Fahrer? Am besten einen, der Sie sicher und schnell von einem Geschäftstermin zum anderen fahren kann? Wie können Sie sich nun sicher sein, dass der nette Herr, der bei Ihnen vorstellig wurde, wirklich ein guter Fahrer ist?
Das gilt ebenso für einen Produktionsleiter. Hier ist es im Sinne Ihrer Investition, einen geeigneten Kandidaten ausfindig zu machen.
Viele würden nun sagen, dass sie eine solche Entscheidung einfach aus dem Bauch heraus treffen. Daran ist nach wie vor nichts falsches zu finden, hier kann die professionelle Personalbeurteilung ergänzende Informationen liefern. Es gibt jedoch auch Entscheidungsträger, die sich vorwiegend objektiverer Kriterien bedienen wollen oder sogar müssen. Hier kommen psychologische Konstrukte ins Spiel. In der Psychologie ist ein Konstrukt ein Konzept über eine Funktionskomponente der menschlichen Psyche. Beispielsweise wäre es für Ihren Kraftfahrer sinnvoll, dass er eine gute Reaktionsfähigkeit hat – hierbei wäre die Reaktionsfähigkeit das Konstrukt.
Bei einem Produktionsleiter wäre es unter anderem wichtig, dass dieser eine möglichst hohe Belastbarkeitsgrenze hat und mehrere Aufgaben gleichzeitig koordinieren kann. Hier wären Belastbarkeit und Simultankapazität die psychologischen Konstrukte.
Ein Konstukt ist in der Psychologie ein Baustein einer umfassenderen Theorie. Dieser Baustein lässt sich nun nicht unmittelbar messen, sondern nur indirekt erschließen. Beispielsweise ist die Reaktionsfähigkeit hier das Konstrukt, welches man gut mittels der Reaktionszeit messen kann. Das bekannteste Konstrukt der Psychologie dürfte die Intelligenz sein – nur gibt es eben kein Meßgerät, wie etwa einen Thermometer für die Temperatur, welcher den Intelligenzquotienten unmittelbar messen kann. Im Rahmen der Einbettung von Konstrukten in Theorien können Aussagen hergeleitet werden, welche dann im Prozess wissenschaftlicher Forschung überprüft werden können.
Ein solches Konstukt lässt sich also indirekt messen. Beispielsweise können Sie den Kandidaten in einen Fahrsimulator setzen, um seine Reaktionsfähigkeit zu beurteilen. Unglücklicherweise sind Sitzungen im Fahrsimulator sehr teuer. Sie können den Kandidaten natürlich auch in ein echtes Auto setzen und kritischen Fahrsituationen aussetzen – das kann nicht nur sehr teuer werden, sondern eventuell auch sehr ungesund sein. Oder sie können ein psychologisches Testverfahren heranziehen, welches das Konstrukt „Reaktionsfähigkeit“ testet. Da dieses Verfahren normiert ist, kann der Fachmann daraus auch ableiten, ob der Kandidat nun auch wirklich besser als der Durchschnitt der Bevölkerung abschneidet.
Der potentielle Produktionsleiter hätte einen Test zur Messung der Simultankapazität und ein Belastbarkeits-Assessment zu absolvieren. Die resultierenden Testergebnisse würden einen wichtigen Hinweis auf die Leistungsfähigkeit des Kandidaten geben.
Nun reicht jedoch ein einzelnes Konstrukt nicht aus, um beurteilen zu können, ob jemand für eine bestimmte Postion in Ihrem Unternehmen geeignet ist. Die Aufgabe des Wirtschaftspsychologen beziehungsweise des Personalbeurteilers ist es nun, zu analysieren, welche weiteren psychologischen Konstrukte zu testen sind, um jemanden zu finden, der für eine bestimmte Stelle geeignet ist. Nachdem diese Konstrukte ermittelt sind, müssen nun geeignete Verfahren gefunden werden, um die Konstrukte zu messen und eine Aussage darüber zu ermöglichen, wie leistungsfähig ein Kandidat im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt ist.
Da es sich dabei um ein kostenintensives Vorgehen handelt, erachte ich dieses eher im Falle der folgenden zwei Anwendungsgebiete als sinnvoll. Zum Einen, wenn viel Personal für gleiche Tätigkeiten gesucht wird. Beispielsweise für eine Produktionslinie einer Fabrik. In diesem Fall rechnet sich der Aufwand für die Entwicklung einer DIN 33430 / ISO 10667 konformen Personalbeurteilung, da dieser Prozess dann für viele Kandidaten durchgeführt werden kann. Insbesondere zahlt sich die Investition in ein solches Beurteilungsverfahren aus wenn bei einem teilweisen Ausfall, oder sogar einem Totalausfall der Belegschaft kurzfristig neue Arbeiter eingestellt werden müssen. Also im klassischen „Blue Collar“ Bereich. Im „White Collar“ Bereich macht eine solch aufwändige Personalbeurteilung nur dann Sinn, wenn eine mögliche Fehlbesetzung eine erhebliche Fehlinvestition bedeutet, also kann das Verfahren zum Beispiel im Bereich „Executive Search“ angewendet werden. Gerade hier ist ein besonders sensibles Vorgehen seitens des Psychologen gefragt, da nur wenige Kandidaten bereit sind Karriereentscheidungen einem psychologischen Test zu überlassen. Hier geht es darum zu vermitteln, dass eine Personalbeurteilung dazu da ist, die Passung des Kandidaten hinsichtlich der zu besetzenden Stelle zu ermitteln, um spätere Frustrationen, sowohl auf Arbeitgeberseite, als auch auf Arbeitnehmerseite zu vermeiden. Anderseits sind diese Verfahren auch sehr gut dazu geeignet zu ermitteln, ob Berufsanfänger für bestimmte Positionen geeignet sind, da sie noch über keine berufliche Historie verfügen, an der sich ihr Potential ablesen lässt.
Dr. Ferenc Acs & Cconsultants begleitet seine Kunden bei der Erstellung und Durchführung von Personalbeurteilungsprozessen. Zu weiteren Aufgabenfeldern gehören Retention Management, Research Consulting, Coaching und Organisationsentwicklung.
Hier können Sie den 1. Teil und 2. Teil dieser dreiteiligen Serie lesen.
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